Ein Bericht von Dr. Else Köppe (1988)
Die Geschichte des Heims geht zurück bis in das Jahr 1900, als bei Frankfurter Lehrerinnen der Gedanke aufkam, in der Nähe der Stadt und doch in ländlicher Ruhe und gesunder Taunusluft ein Heim zu schaffen, das Lehrerinnen im Ruhestand als Feierabendhaus und jüngeren Lehrerinnen als Erholungsheim dienen solle. Diese Lehrerinnen wandten sich in Aufrufen an die Öffentlichkeit, wo dieser Plan in den finanzkräftigen Kreisen der Stadt Interesse und tatkräftige Unterstützung fand. So kam es im Mai 1901 zur Gründung des Vereins „Frankfurter Lehrerinnenheim“ unter dem Protektorat Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Friedrich Carl von Hessen. Als Folge der vorangegangenen Aufrufe hatte der Verein bereits ein Vermögen von 61.000 Mark. Unter den Gründern des Vereins sind namhafte alte Frankfurter Familien. So ist das Heim ein Zeichen echten sozialen Bürgersinns, der sich für das Gemeinwohl verantwortlich weiß.
Das zum Bau des Hauses notwendige Kapital wird durch Schuldverschreibungen aufgebracht, die mit 3 % verzinst werden. Diese Mittel werden schnell erbracht, so kann schon im September 1901 ein Bauplatz in der Nähe von Hohe Mark gekauft werden für 15.700 Mark. Der Kostenvoranschlag für das Haus beträgt 60 – 65.000 Mark, die end-gültigen Baukosten 114.247 Mark einschließlich der Gartenanlagen und Möbel. Am 10. Juli 1902 wird mit dem Bau des Hauses begonnen und am 5. Juli 1903 ist die feierliche Eröffnung, deren Abschluß ein gemeinsames Mittagessen in der „Waldlust“ und ein gemütlicher Kaffee im Heim ist. Die Geschichte der Gründung des Heims ist auf Pergament geschrieben im Grundstein des Hauses eingelagert.
Das Haus hat 30 Zimmer, die zum Teil ineinander gehen, es hat Ofenheizung und Petroleumbeleuchtung. Möbel, Wäsche und Silber sind zum Teil Geschenke der Vereinsmitglieder, so stammt z.B. die gesamte Eßzimmer-Einrichtung von Frau Speyer.
Das Haus ist also gedacht sowohl als Altersheim für Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen, als auch als Erholungsheim. Von August 1903 ab sind 3 ständige Pensionärinnen im Haus. Neben ihnen sind das ganze Jahr hindurch Gäste da, deren durchschnittlicher Aufenthalt zwischen 2 und 3 Wochen liegt. Dazu kommt eine große Zahl von Passanten, die Mittag-, Abendessen und Kaffee einnehmen. Das bedeutet eine große Belastung für die Angestellten; man denke nur an Kohleherd, keine Spülmaschine, Petroleum-Beleuchtung. Täglich mußten etwa 30 Lampen versorgt werden. In den ersten Jahren kommen dazu reichliche Geschenke und Vermächtnisse der Mitglieder. So ist das Vermögen 1911 auf 99.000 Mark angewachsen. Man kann Verbesserungen im Haus vornehmen, Zimmereinrichtungen und Wäsche werden ergänzt, die Zimmer mit Linoleum ausgelegt, und vor allem wird 1911 elektrische Beleuchtung eingeführt. Welche Arbeitserleichterung!
Das bis 1914 aufblühende Haus wird durch den Kriegsausbruch schwer geschädigt durch Lebensmittel- und Kohlenknappheit, aber auch durch Personalmangel. Zeitweise hat die Heimleiterin nur 1 Mädchen zur Verfügung und keine Köchin. Das Haus ist nur von 3 Pensionärinnen und gelegentlich von einigen erholungsbedürftigen Lehrerinnen bewohnt. Vorübergehend haben die 3 Heimbewohnerinnen selbst gewirtschaftet. Erst im Mai 1920 kann der Betrieb wieder voll aufgenommen werden. Besondere Anschaffungen sind im Garten Rasen und Sitzplätze; große Erleichterung bringt 1921 ein Gasherd in der Küche.
Zum 25jährigen Jubiläum 1928 wird die Zentralheizung und Warmwasserbereitungs-anlage gebaut für 23.450 Mark, für die eine Hypothek von 25.000 Mark aufgenommen wird. Als Jubiläumsgabe stiftet Frl. Pflüger 24 Stück Silber und Frl. Fromm 25 Kaffeelöffel.
Das Jubiläum wird im Juni als Gartenfest gefeiert. Die akademische Feier ist im Speisesaal, der Kaffee im Garten mit 200 Gästen. Einige Unentwegte feiern bei Lampions und Bowle bis in die Nacht. Die Kosten des Festes betragen 605 Mark, die Einnahmen 610 Mark, also Überschuß 5 Mark. Die Stadt Frankfurt stiftet 1.000 Mark!
Als Fortführung der sozialen Aufgabe gründet Frl. Dr. Geering, die seit 1935 1. Vorsitzende des Vereins ist, einen Sozialfonds für bedürftige Lehrerinnen, die den Pensionspreis als Dauergast nicht zahlen können, der damals monatlich 170 Mark beträgt. Die sozialen Verpflichtungen steigen an, erholungsbedürftige Kinder und Erwachsene werden umsonst aufgenommen.
In den folgenden Jahren entwickelt sich das Haus immer mehr zum Altenheim, für Gäste sind nur noch 3 Zimmer verfügbar. Das hat den Vorteil, daß das Haus während des 2. Weltkriegs von der Wehrmacht verschont bleibt. Die Einnahmen bleiben konstant, es hat sogar kleine Gewinne.
Aber – 1943 wird der Verein „Frankfurter Lehrerinnenheim“ aufgelöst, entsprechend dem Gesetz vom 27.5.37, das die Auflösung aller Berufsorganisationen verlangt, und wird eingegliedert in den NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund) Bayreuth. Am 18.12.43 tritt der NSLB die Verwaltung an bis 1945. Dann kann der Verein seine frühere Tätigkeit als Altenheim wieder aufnehmen, die aber im August 1945 unterbrochen wird, weil die amerikanische Militärbehörde das Haus beschlagnahmt. Die prominenten nationalsozialistischen Führer werden in dem Haus untergebracht (im Oberurseler Volksmund „Haus Alaska“ genannt), bevor sie nach Nürnberg zur Gerichtsverhandlung fuhren: Heß, Speer, Dönitz usw.
Die 22 Insassen des Lehrerinnenheims finden Aufnahme in Königstein in der Villa Hahn, die zwar auch beschlagnahmt und zum Teil von den Amerikanern besetzt, dadurch aber wohl beheizt ist. Als die Villa Hahn am 1. Mai 1947 von den Amerikanern geräumt wird, verlangt der Besitzer von dem Lehrerinnenheim Miete, zu der die Besatzungsmacht zwar einen Teil beisteuert, die das Haus aber sehr belastet. Das Haus lebt also über seine Verhältnisse, und es beginnen die Schwierigkeiten mit Ernährung und Heizung. Es besteht zunächst auch keine Aussicht auf Rückgewinnung des Heims in Hohe Mark. Trotz aller Nachkriegsschwierigkeiten sieht der Vorstand in der Erhaltung des Heims ein Gebot der Stunde.
Im Jubiläumsjahr 1953 erhielt der Verein vom Hessischen Finanzminister die Urkunde über Rückübertragung des Heims vom Land Hessen. Das 50jährige Jubiläum wurde aber noch in Königstein gefeiert mit einem Gartenfest in dem herrlichen Park der Villa Hahn. 79 Mitglieder erschienen von Frankfurt aus. Die Jubiläumsspende war bescheiden, ein Zeichen der allgemeinen Verarmung.
1956 ist ein ganz wichtiges Jahr: Nach 10 Jahren wurde das Heim in Hohemark am 1. Januar freigegeben. Bei der Beschlagnahmung durch die Amerikaner waren Haus und Garten völlig möbliert und in gepflegtem Zustand. 1956 waren keine Möbel mehr da, die Bibliothek zerstört. Obwohl das Haus ganz renoviert werden mußte, konnte es schon im März bezogen werden. Der Umzug von 19 Damen und dem gesamten Personal erfolgte in 4 Tagen.
1959 ist ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte des Heims, gekennzeichnet durch den Tod von Frl. Dr. Geering, die im Alter von 84 Jahren starb. Die letzten 10 Jahre ihres Lebens waren geprägt von dem Kampf um die Rückgewinnung des Heims. Sie hing mit ihrem ganzen Herzen an dem Heim, und sein Wohl war ihr zur Lebensaufgabe geworden. Deshalb war es naheliegend, dem Haus den Namen der Frau zu geben, die 20 Jahre die Geschicke des Vereins und des Heims durch schwierigste Zeiten in aufopfernder Weise geleitet hat. Von den 30 Bewohnerinnen waren nur noch 8 Lehrerinnen. Der Name „Lehrerinnenheim“, unter dem es noch in Oberursel bekannt ist, war also irreführend. Deshalb beschloß der Vorstand gemeinsam mit der Mitgliederversammlung die Änderung des Namens in „Agnes-Geering-Heim“.
Ihre Nachfolgerinnen haben sich alle bemüht, das Haus im Sinne von Frl. Dr. Geering weiterzuführen und seinen besonderen Charakter zu erhalten. Dennoch hat sich einiges geändert. Der Charakter einer Berufsorganisation ist zurückgetreten hinter dem Dienst an solchen Menschen, die durch Alter in Bedrängnis geraten sind. Es sind alle Schichten der Bevölkerung vertreten, es ist ein Altenheim, für jedermann offen. Seine Gemeinnützigkeit ist seit 1967 anerkannt.
Sowohl im Inneren wie im Äußeren des Hauses ist mancherlei geschehen, wovon frühere Bewohnerinnen nur träumen konnten, und wenn sie heute zu einem Besuch kämen, würden sie nur staunen, wieviel komfortabler für Bewohner und Angestellte das Haus geworden ist. Die Anschaffung eines elektrischen Bügeleisens 1927 war ein Ereignis. Heute haben wir Wasch- und Bügelmaschine, eine Spülmaschine, zwei Kühlschränke und eine Gefriertruhe und als Allerwichtigstes bekam das Haus 1972 einen Personenaufzug, ohne den wir uns das Leben nicht mehr vorstellen können.
Die finanzielle Situation des Heims ist gesund, es trägt sich selbst und ist deshalb nicht abhängig von Bedingungen oder Vorschriften einer höheren Instanz. Größer als die peripherischen Sorgen sind die Freude und die Dankbarkeit derer, die hier leben, zum Teil schon viele Jahre lang, daß wir uns wohl fühlen, weil wir liebevoll betreut werden, auch wenn wir ein Pflegefall werden. Das ist das Besondere an diesem Heim, daß alle, die darin arbeiten, das mit ganzer Hingabe tun und sich dem Heim ihr Leben lang verbunden fühlen. Das gibt dem Heim seine persönliche Note, die es unterscheidet von den modernen Senioren-heimen.
Fassen wir zusammen: Das Haus, das begründet wurde als Hilfe für bedürftige Lehrerinnen, das also seinem Ursprung nach eine soziale Ausrichtung hatte, hat sich gewandelt zu einem normalen Altenheim für jedermann, das aber von seinen Anfängen her die ganz persönliche Atmosphäre bewahrt hat, fern von dem hotelartigen Zuschnitt der modernen Altenheime.
So wünschen wir, daß zum 100jährigen Jubiläum in 15 Jahren das Haus nicht nur noch steht, sondern daß es weiterhin ein Heim, ein Zuhause ist für alte Menschen, die sich in ihm geborgen fühlen.
Oberursel, 7.6.1988, Dr. Else Köppe
Hervorhebungen und Kürzungen durch die Redaktion.